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Wiener Journal, April 1995 "Emotion & Kitsch. Kunst, feministisch betrachtet"
Essay und Werkabbildung: "Magnolienblüten"


Daniela Span
Kunst, feministisch betrachtet
Emotion & Kitsch
1995

Unsere Gesellschaft bewertet intellektuelle Leistungen höher als das gefühlsmäßige Erfassen von Zusammenhängen. Daher werden emotionale Reaktionen als Unberechenbarkeiten angesehen und haben somit etwas äußerst Unseriöses an sich. Berechenbarkeit ist ein hoch bewertetes Faktum, denn Kontrollierbarkeit verleiht die Illusion von Sicherheit.

Künstliche Gefühle

An Stelle menschlicher Gefühlsregungen treten "Ersatzemotionen", die uns durch "Erziehung" in der Familie und den staatlichen Institutionen beigebracht werden. Der Mensch muß von Anbeginn seiner Existenz begreifen lernen, daß gesellschaftlich angepaßtes Verhalten gefordert wird, und daß es sogar schon riskant ist, seine Gefühle und Bedürfnisse auszudrücken – von einem Ausleben derselben ganz zu schweigen.
So wird die Distanz zum eigenen Innenleben erlernt. Selbsterkenntnis – als Grundlage authentischen Erlebens – wird so schwer, ja unmöglich gemacht. Sentimentalität ist ein exemplarisches Beispiel für ein Ersatzgefühl. Kitsch und Sentimentalität stehen einander nahe und haben die Funktion, das Bedürfnis nach Ersatzgefühlen zu befriedigen. Menschen, die den Kontakt zu ihren wahren Emotionen verloren haben, sind für Kitsch sehr empfänglich.

Klischee als Ersatz

Ebenso stellen Klischeevorstellungen einen Ersatz dar – für echte Wahrnehmung. Offenheit und Unvoreingenommenheit sind Basis für Wahrnehmungsfähigkeit und für Aufnahmebereitschaft.
Wenn der Zugang zu den eigenen seelischen und emotionalen Prozessen verbaut wird, ist auch die Offenheit für die Außenwelt eingeschränkt. So entsteht an Stelle der Wahrnehmung dessen, was wirklich ist – ein Vorurteil.
Ein Klischee stellt etwa die Behauptung dar, Frauen seien emotional und Männer rational.
Das Weibliche und das Emotionale werden in patriarchalen Kulturen gleichermaßen geringgeschätzt und mit dem gefährlichen, weil unberechenbaren Irrationalen assoziiert. Vorurteile und Klischees verhindern Veränderung und Entwicklung, also Freiheit.
Die Kunst aber ist – frei.
Wie frei kann sie innerhalb eines gesellschaftlichen Kontextes der Verdrängung und Verschleierung sein? Das künstlerische Arbeiten mit Klischees bedeutet, ein Repertoire von landläufig verständlichen Zeichen zur Verfügung zu haben, die, als Stilmittel eingesetzt, ein willfähriges Instrumentarium für den Transport künstlerischer Inhalte darstellen – sowohl jenseits von bedeutungsschwangerer Ernsthaftigkeit als auch platter Binsenweisheit. Eine vordergründige Form der Umsetzung kann einer tiefergehenden Thematik eine umso größere Eindringlichkeit verleihen, je besser es gelingt, die Darstellung auf diese Weise zu brechen.
Geschlechterrollen-Stereotypen etwa dienen dazu, den Geschlechterkampf künstlich am Leben zu erhalten: Menschen, deren Lebensenergie permanent in Beziehungskonflikten gebunden ist, haben eine eher eingeschränkte Empfänglichkeit für allgemeine gesellschaftliche und globale Problemstellungen. Somit sind sie leichter zu manipulieren und zu überwachen.

Plakativität

Für eine feministische Künstlerin bedeutet das unter anderem, ihre persöhnliche Auseinandersetzung mit der geschlechtsspezifischen Sozialisation, die durch massive Vermittlung von Weiblichkeits- und Männlichkeitsklischees erfolgt, in ihrer Arbeit zu thematisieren.
Eine Möglichkeit dazu stellt die Brechung verinnerlichter, verkitschter Klischeevorstellungen durch das plakatative Vorführen derselben dar – etwa das gängige Barbie-Puppen-Schönheitsideal, die Sehnsucht nach dem Märchenprinzen, die Vorstellung vom reinen Mutterglück...
Künstlerinnen, die sich dem Feminismus verpflichtet fühlen, beziehen vor allem den dezidiert weiblichen und erst danach den allgemein-menschlichen Standpunkt. Denn die gesellschaftspolitischen Forderungen des Feminismus gelten nach wie vor – trotz gegenteiliger Propaganda, die den Frauen weismachen will, daß sie ihre Benachteiligung besiegt, ja daß sie unter ihren "übertriebenen Emanzipationsbestrebungen" inzwischen schon selbst zu leiden hätten...

Daniela Span, Emotion und Kitsch.
Kunst, feministisch betrachtet, in:
Wiener Journal, April 1995, 48